Land in Sicht
Die Färöer-Inseln rücken als unscheinbarer Streifen am Horizont ins Bild. Ist das Land? Oder doch nur eine Täuschung? Wir kommen näher und so langsam werden einzelne Inseln erkennbar. Schließlich bekommt das Land Struktur. Streymoy, die große Hauptinsel. Suðuroy ganz im Süden. Dazwischen Sandoy und als kleine Zacke Lítla Dímun. Weiter nördlich Eysturoy und das Gewimmel der Nordinseln. Schluchten und vorgelagerte Schären werden sichtbar. Schon lange, bevor wir das Land erreichen, begleiten Eissturmvögel und Trottellummen unser Boot.
Einer der mitreisenden Färinger erzählt über die kleine Stichelei, die zwischen Isländern und Färingern herrsche: Als im 9. Jahrhundert viele Wikinger vor der Schreckensherrschaft von Harald Schönhaar von Norwegen flohen, waren Die Färöer-Inseln der Zwischenstopp. „Hier haben wir die Schwachen und Seekranken zurückgelassen“, behauptet man in Island. „Von wegen schwach und seekrank! Die, die die meiste Angst hatten, sind weiter nach Island geflohen!“, so die Sicht der Färinger. Gleichstand, würde ich sagen.
Wir sind Wikinger
Tatsächlich gab es wohl mehrere Besiedelungswellen auf den Färöern, so lese ich in meinem Reiseführer. Den Anfang machten möglicherweise irische Mönche, die auch die ersten Schafe auf die bis dahin menschenleeren Inseln mitbrachten. Dazu Gerste oder Hafer. Relikte davon hat man jedenfalls auf der Insel Mykines, ganz im Westen, gefunden. Die Insel ist heute als Vogelparadies bekannt und wird gerne besucht. Das Leben zur Zeit jener ersten Siedler wird jedoch extrem hart gewesen sein. Mir knurrt jedenfalls der Magen und ich fange an zu frösteln, wenn ich es mir versuche vorzustellen. Vielleicht hatten Wikinger auch schon vorher kurz hier Station gemacht. Etwas genaues weiß mein Buch darüber jedoch nicht zu berichten. In einer nächsten Welle kamen Wikinger aus Norwegen, dann aus Irland und aus Schottland – ob nun gezielt oder weil man Island verfehlt hatte? Darüber wird spekuliert und gemutmaßt. Jedenfalls bestimmt das das Selbstverständnis der Färinger: „Wir sind Wikinger!“
Inzwischen bläst ein frischer Wind übers Deck. Das Meer ist jedoch weiterhin zahm. An der Reling versammeln sich nun immer mehr Fotografen. Jeder hofft auf das perfekte Licht während wir den Inseln immer näher kommen. Und ich kann mich kaum sattsehen an den schroffen Klippen, die nun immer näher rücken. Ich habe mich winddicht eingepackt, dennoch zieht es ganz ordentlich und ich fröstele leicht. Auf den Färöern ist es meistens um die 10°C warm. Im Winter manchmal etwas kälter, im Sommer selten auch schon einmal wärmer. Dazu bläst ein immer währender Wind, der im Sommer am schwächsten ist – also maximal Windstärke neun! Wussten wir vorher, das ist also keine Überraschung. Auch täglichen Regen oder Nebel werden wir gelassen auf uns zukommen lassen – da glaube ich zumindest feste dran.
In der kleinsten Hauptstadt der Welt
Dann haben wir Nólsoy umrundet. Ganz langsam löst sich das Stadtpanorama von Tórshavn aus dem Grün der Umgebung. Die Hauptstadt schmückt sich mit dem Prädikat „kleinste Hauptstadt der Welt“. Das stimmt vermutlich nicht ganz, tut jedoch dem Stadtpanorama keinen Abbruch. In seiner Bucht um den großen Hafen gelegen, kriechen die Häuser der Vorstadt ein wenig die benachbarten Hügel hinauf. Dahinter leuchtendes Grün, schroffe Felsen und Himmel in jeder Richtung. Die Häuschen der Innenstadt sind bunt und dicht gedrängt. Am auffälligsten leuchten die roten Holzhäuser mit dem Grasdach, die sich auf der Halbinsel Tinganes drängen. Das ist das Parlamentsviertel, in dem sich alle Ministerien und auch das Løgting – also die Landesregierung – befindet. Die Stadt ist weltstädtisch und winzig zugleich.
Die Einfahrt in den Hafen von Tórshavn ist dann nochmal ein besonderes Erlebnis: Der Fähranleger hat rechts und links gerade fünf Meter mehr Platz, als unser Riesendampfer misst. Optisch wirkt es sogar kleiner und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie und wo wir dort anlanden sollen. Sieht für mich unmöglich aus! Laut einem ortskundigen Mitreisenden ist die Fähre hier nur ein- oder zweimal gegen den Kai gefahren und hat sonst immer bravourös angelandet. Auch dieses Mal legen wir glatt an und die Wohnmobil-Kolonnen beginnen, von Bord zu rollen. Ankunft auf den Färöern – wir sind da. Und ich bin jetzt schon sicher, dass ich mich hier nicht langweilen werde. Was für eine traumhafte Landschaft, was für faszinierende Inseln!